Geschichte des NTD



Vorgeschichte des Neuen Triadischen Denkens

Das Denken in Dreiheiten und die Trinität

Das triadische Denken, welches die Phänomene aus dem Zusammenwirken von genau drei Faktoren oder Prozessen erklären will, hat in der Geschichte und in der Gegenwart aller Kulturen einen Platz und viele Formen angenommen.

Frühgeschichte des Denkens in Dreiheiten (TriDenk)

Die Zahl ‘3’ hat in der keltischen wie in vielen anderen frühen Kulturen eine besondere Bedeutung. Die göttliche Allmacht wird durch die Dreiheit von Taranos (Vater), dem Sohn Lugh und der Jungfrau Brigid bezeichnet. Dreifach erscheint die lebensspendende Sonne. Die Triskele (Dreierspirale) beschreibt den Kreislauf des Lebens, der sich aus
Werden, Sein und Vergehen zusammensetzt. Die Spirale des Lebens, eine Variante der Dreierspirale, ist das Symbol der dreifachen Muttergöttin.

Triskele

Als Einheit allen Lebens hat sie, wie die Gottheit selbst, weder Anfang noch Ende. Wichtiger ist in diesem Kontext, daß für das keltische Denken gerade die Formen des Zusammenwirkens der Elemente der Triade von Bedeutung sind.

Triade in vorchristlichen Naturreligionen, z. B. als Jungfrau ('Liebesgöttin'), als Mutter ('Fruchtbarkeitsgöttin') und als Altes Weib ('Todesgöttin'); jeweils zuständig für den Frühling, den Sommer und den Winter.

Nach ägyptischen Totenkult legte man die zu Weihenden drei Tage in einen Sarg. Drei Tage nach seiner Selbstverbrennung stieg der Phönix aus der Asche.

TriDenk in außereuropäischen Kulturen

Triadisches Denken war nie eine bloß europäische Erscheinung. Auch und gerade in den außereuropäischen Kulturen gibt es bedeutende triadische Denkschulen. Seit dem 1. nachchristlichen Jahrhundert ist bei den Brahmanen in Indien die Lehre von der Dreigestalt (‘Trimurti’, Sanskrit) des einen Gottes belegt: Brahma (Schöpfer), Wishnu (Erhalter) und Shiwa (Zerstörer). Auch die buddhistische Drei-Körper-Lehre (Trikaya) nutzt triadische Konzepte.

Dreikopfklein.jpg
Die dreifache Emergenz hinduistischer und buddhistischer Götter
(Dreigesichtiger Brahma, Bagan/Myanmar, Nanpaya-Tempel, XII.JH)

  • Triskele (keltisch)Kreislauf des Lebens : Werden, Sein, Vergehen
  • Trimurti: Lehre von der Dreigestalt des einen Gottes im Sanskrit: Brahma (Schöpfer), Wishnu (Erhalter) und Shiwa (Zerstörer) - seit dem 1. nachchristlichen Jahrhundert bei den Brahmanen in Indien belegt.
  • Traibhumikatha/Traiphum Phra Ruang (siamesisch): Drei Welten des Kosmos: Himmel, Erde, Hölle
  • Tipitaka (Pali) 'Dreikorb' des Theravāda Buddhismus: Vinaya-Pitaka oder die Sammlung der Ordenszucht, Sutta-Pitaka oder die Sammlung der Lehrreden, Abhidhamma-Pitaka oder die Philosophische Sammlung.
  • Sān Hé Huì (Mandarin): Himmel, Erde und Menschheit
  • Ayurveda (drei Doshas): Vata, Kapha, Pita

Ebenfalls in vielen Kulturen wird die Familientriade Mutter – Vater – Kind (Sohn, Tochter) transzendental überhöht.

Die christliche Trinität: Der Prototyp des triadischen Denkens

Wichtiger geworden ist für das christliche Abendland freilich eine andere Triade: Die christliche Lehre von der Trinität

Der Glaube an die Trinität (auch Heilige →Dreifaltigkeit , Dreieinigkeit geht von der Vorstellung von ‘drei Personen in einer einzigen göttlichen Wesenheit’ aus (Vater, Sohn, Heiliger Geist). Die Wortbildung wird Tertullian (gest. um 222) als Verschmelzung von lat. ‘tres’ (drei) und ‘unitas’ (Einheit) zu ‘trinitas’ zugeschrieben. Das (1.) Konzil von Nicäa, 325 von Kaiser Konstatin einberufen, vollzieht den Übergang vom alttestamentlichen Monotheismus und den in älteren Taufformeln vorgeprägten Tripel Vater, Sohn und Heiliger Geist zum dreifaltigen Gottesbild.


Spätestens von diesem Ereignis an, an dem angeblich mehr als 2000 Delegierte von Assyrien bis Spanien und jedenfalls sicher ca. dreihundert Bischöfe teilnahmen, ist das Christentum nicht mehr nur eine Glaubensgemeinschaft sondern eine soziale Institution mit kodifizierten Regeln und Instanzen, die deren Einhaltung überwachen. Das Bekenntnis zur Heiligen Schrift, in welcher Form auch immer, reicht für die Zugehörigkeit nicht mehr aus. Das Alte und das Neue Testament machen zum Wesen Gottes kaum Aussagen. Das Glaubensbekenntnis ist eine soziale Verabredung, und sie kann deshalb auch immer wieder - nach Regeln - verändert werden, was bekanntlich häufig geschehen ist. Dieser sozial-institutionelle Charakter des Christentums kann gar nicht genug herausgestrichen werden, weil er bis heute des Religionsverständnis Europas prägt. Und er stellt dem NTD die Aufgabe, ebenfalls über seinen sozialen Charakter nachzudenken. Dies geschieht, indem das Denken/Glauben in eine individuelle, soziale und kulturelle Praxis eingebaut wird.

Nach 380 (Dreikaiseredikt) und dem 1. Konzil von Konstantinopel (381) gelten als Christen nur diejenigen, die 'an die eine Gottheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes bei gleicher Majestät und Heiligen Dreifaltigkeit' glauben.
Viele Auseinandersetzungen in der frühchristlichen Kirche, spätestens seit dem Auftreten des Presbyters Arius (317) bis zur 11. Synode von Toledo 675 lassen sich erstens als Streit darüber verstehen, ob Gott überhaupt als emergentes Produkt einer Trias gedacht werden kann (was die Arianer verneinten) und zweitens, welche Verhältnisse zwischen Faktoren der Trias herrschen soll.
Die Mannigfaltigkeit der göttlichen Trinität wurde von den Kirchenvätern und Konzilien also im wesentlichen als ein Problem der → Komposition behandelt. Die Komponenten der Trias, Vater Sohn und Heiliger Geist, waren unumstritten, nicht aber die Beziehungen zwischen den Faktoren. Damit einher ging die Frage nach den → Qualitäten der Faktoren, anfangs vor allem nach jenen von Jesus Christus: Wie ist die Qualifizierung 'Ganz Mensch, ganz Gott' zu denken bzw. zu bekennen?

Christologie und die Wiederkehr der Dualismen

Vor allem im Osten, in den Gebieten, die zunehmend von Konstantinopel aus dirigiert wurden, verlagerte sich die theologische Diskussion von der Trinität zur Christologie. Dabei ging es der zweiten Hälfte des 4.JHs nahezu ausschließlich um die Klärung der Beziehung zwischen Christus als sterblichen, leidensfähigen Menschen einerseits und seiner göttlichen Existenz andererseits. Einen gewissen Abschluß fanden diese Debatten im Oktober 451 in der Kaiserresidenz Chalkedon, unweit von Konstantinopel. Auf der Synode verabschiedete man das Bekenntnis, das sogenannte Chalcodense, zu Christus als einer Person in zwei Naturen: 'vollständig in der Gottheit, vollständig in der Menschheit; doppelt geboren, mit zwei Naturen, die ohne Vermischung existieren.'
Das Bekenntnis ist völlig gefangen im dualistischen Denken - mit verheerenden Folgen für den triadischen Denkstil und das Alleinstellungsmerkmal des Christentums. Das zu erklärende Objekt - hier Jesus Christus - wird als das emergente Produkt nicht aus drei Faktoren - wie im Trinitätskonzept - sondern aus zwei Faktoren/Naturen hergeleitet. Damit hatte das triadische Denken seine Blüte in Kleinasien - und in den Ostkirchen - überschritten. Man wagte nicht den Schritt, die Trinitätstriade zu einer Triadentrias auszubauen, und auch die Faktoren: Vater , Sohn und Heiliger Geist nochmals als Produkt einer Trias zu erklären.
Dabei hätte man den Sohn durch aus triadisch beschreiben können, z.B. als getauften Jesus und damit als Glied der Gemeinschaft der Gläubigen, als Sohn Marias und damit 'ganz Mensch', und als wesensgleich mit Gott, gleichurspünglich und ewig. Viele Möglichkeiten sind glaubhaft.
Die Reduktion der Qualitäten und Beziehungen auf die binäre Schematisierung war ein Rückfall auf alttestamentarische Traditionen und machte die Christen in der Folge im Osten anschlußfähig an den Islam (und umgekehrt): Hier Gott - dort die Menschen. Eine Unterdrückung der Christen durch die Mohammedaner setzte erst nach 900 und massiv dann während der Herrschaft der türkischen Mameluken (ab 1250) ein. Bis dahin koexistierten die Religionen; man betrachtete die jeweils andere als bloße Häresien - Abweichler an einer gemeinsamen Sache. (So etwa Johannes von Damaskus (ca.650 - 750) in: De haeresibus)

Trinität in Westrom

Die theologische Diskussion nahm in Süd- und Westeuropa, begünstigt - anfangs - durch eine weit geringere Einmischung der politischen Potentaten in die kirchlichen Angelegenheit, einen etwas anderen Verlauf. Eine so deutliche Spaltung in Gliedkirchen (Nestorianer, Jakobiten, Armenier, Kopten), wie sie sich durch die Haltung zur christologischen Frage im Osten festigte, blieb dem Westen - bis zur Reformation - erspart. Die Weiterentwicklung dreifaltigen Denkens (z. B. Tertulians) bestimmte die Arbeit der Theologen und sie wurde der dualistischen Christologie jedenfalls nicht dauerhaft untergeordnet.

  • "Marius Victorinus entwickelten in seinen vier Büchern 'Adversus Arianum (Gegen Arius) eine komplexe Trinitätslehre. Hilarius legte mit De trinitate (Über die Trinität eine umfassende trinitätstheologische Erörterung vor, an die Augustin anknüpfte."(Hauschild/Drecoll 2019,:370x Paradigmatisch ist hierfür das Wirken Augustins (354-430) und seine nachhaltige Rezeption im Mittelalter. Es war kaum möglich sich am theologischen Diskurs zu beteiligen, ohne seine 15 Bücher 'De trinitate' zu kennen.

In dieser Auseinanderentwicklung zwischen den ost- und den westkirchlichen Diskursen dürfte Ursachen für die Trennung der west- und der osteuropäischen und kleinasiatischen Kulturen liegen. Die Denkstile unterscheiden sich. Nur im Westen nehmen die triadischen Prinzipien - wie subkutan auch immer - entscheidenden Einfluß auf die Weltanschauung. Das kann man bei Augustin gut sehen, der für viele Lebensbereiche Triaden entwickelte. Besonders wichtig ist seine Übertragung der göttlichen Trinität auf den Menschen: Auch das Menschenbild sollte triadisch - wie auch immer - modelliert werden. Immer wieder greifen die mittelalterlichen Philosophen auf Trias zurück. So brechen denn die Traditionslinien bis zur dreifaltigen Bestimmung der Gewaltenteilung in den Nationalstaaten der Neuzeit nicht ab.
PDF: Mittelalterliche Modelle der Trinität

Das 'Neue' im Verständnis der Trinität im NTD

Das Neue Triadische Denken® versteht die Dreifaltigkeit als → Komplexität und die Komplexität als Interaktion von Komposition, Qualität und Quantität. Damit ergibt sich die innovative Möglichkeit, neben der Komposition und den Eigenschaftszuschreibungen auch quantitative Verhältnisse zwischen den Faktoren der Trias zu berücksichtigen.
Das hat u.a. den Effekt, daß an die Stelle von (qualitativen) Entweder-Oder-Aussagen ein Mehr oder Weniger treten kann. Binarität/Bipolarität läßt sich in quantitative Differenzierung auflösen.
Das Neue Triadische Denken prämiert Komponenten der Trias und stellt eine quantitative Rangordnung zwischen den gleichwertigen Faktoren her. Dies hat u.a. die erhebliche Konsequenz, daß im NTD Heterogenität hervorgehoben wird. Die Trias ist heterogen, unitas gibt es nur in einer Triade und im christlichen Bekenntnis zu Gott als emergenten Produkt der Trias.

Um diese Prämierung von den Faktoren auf der Ebene der Trias auszudrücken, hat das NTD das dreischlaufige Knotenmodell entwickelt, das schon auf der Startseite dieser Webpräsenz gezeigt wird. Es ermöglicht, eine Gewichtung zwischen den Faktoren durch die Läge/Größe der Schlaufen auszudrücken.

Es ließe sich eine Geschichte der christlichen Glaubensrichtungen danach schreiben, welche Rangordnungen sie zwischen den drei Faktoren jeweils anwenden. Obwohl Gott immer zugleich Vater, Sohn und Heiliger Geist ist, tritt er dem Menschen mal mehr als Heiliger Geist (in der Offenbarung), mal als Sohn (z. B. im Neuen Testament als Jesus gegenüber den Aposteln) und dann wieder, wie in vielen Episoden des Alten Testaments, als strafender oder gütiger Vater entgegen.
Wenn der Triadiker vom Sohn Jesus Christus spricht, dann meint er eine dreifaltige Trias, in der der Sohn größeren Raum als die anderen Faktoren einnimmt. Ohne den Bezug auf den Vater und den Logos/Heiligen Geist gibt es Jesus Christus nicht. Er ist Sohn nur insofern er Anteil am Vater hat, von ihm Qualitäten erbt. Er ist göttlich auch insofern der Heilige Geist in ihm wirkt. In Beziehung auf den "Gott des Alls" (Dionysius von Rom) gibt es allerdings qualitative und kompositorische Unterschiede: Alle drei Faktoren liegen auf einer andere Ebene als Gott, aber zugleich liegen alle Faktoren auf einer Ebenen und sind insoweit gleichwertig. Es gibt keine "Subordination"in der tektonischen/vertikalen Dimension.
Nach triadischem Verständnis ist eine Komposition das Produkt aus Elementen, Ebenen und Beziehungen. Der Faktor Ebene spielt in der frühchristlichen Diskussion selten eine explizite Rolle. Und das hat sich bis heute wenig geändert: Üblich ist es immer noch Gott und Gottvater zu identifizieren.

Bei jeder Anwendung triadischer Modelle findet eine Prämierung des einen oder anderen Faktoren der Trias statt. Das gilt auch für das Modell der Trinität. Im Alten Testament (und für diejenigen, die dieses Testament bevorzugen) gleichen sich (Gott)Vater und Gott an. Das Neue Testament fokussiert - klarerweise - auf den Sohn, Jesus. Ohne Jesus, mediatisiert durch das Neue Testament, gibt es keine christliche Dreifaltigkeit. Zur Zeit des Konzils in Nicäa spielte der Faktor Heiliger Geist kaum eine Rolle. Die Rangordnung zwischen den Faktoren der Trias zu jener Zeit läßt sich mit dem folgenden asymmetrischen Knoten ausdrücken:

Trinität

Die Mystiker berufen sich auf den Heiligen Geist und dessen inneren Eingebungen. Gleichwohl brauchen sie ob dieser Prämierungen nicht die Dreifaltigkeit in Frage zu stellen.


Man kann sogar behaupten, daß sich die religiösen Richtungen gerade durch diese Prämierungen der einen oder anderen Relation und des einen oder anderen Faktors auszeichnen. Ihre Identität liegt in der Abweichung von der Egalität und jeder homogenen Ausprägung. So mißtrauten Calvin den Gefühlen und damit den inneren Stimmen, letztlich den Sensoren, durch die sich der 'Heilige Geist' dem einzelnen Menschen offenbarte. Das setzte ihn nicht nur in den Gegensatz zu mystischen religiösen Strömungen, sondern schwächte überhaupt die Bedeutung dieses Faktors der Heiligen Dreifaltigkeit für die Reformation in Genf.
Luther bestimmte in seinem Kleinen Katechismus klar die Grenzen von Umweltwahrnehmung und Vernunft und die Funktion der dritten göttlichen Kraft: "Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten..." (2. Hauptstück, 3. Artikel) Die Berufung auf die inneren Stimmen schwächte klarerweise die - äußere - Stimme des Vatikans als Nachfolger Petri.

Wenn man das Christentum unbedingt als Monotheismus fassen will, dann ist es ein trichotomer und kein monolithischer Monotheismus.
Radikaler Monotheismus scheint kein guter Nährboden für triadisches Denken zu sein. Er fördert monokausales Denken und macht letztlich ein In-der-Schwebe-Halten von Urteilen überflüssig.


Triadische Erkenntnistheorie in Spätantike und Mittelalter

Was genau unter dieser ‘Dreiheit’ in den Epochen der Antike in den verschiedenen kulturellen Bereichen jenseits der Religionen verstanden wurde, läßt sich wohl nicht mehr umfassend rekonstruieren. Es geht jedenfalls um Beziehungen zwischen drei Faktoren, die irgendwie als eine Einheit verstanden werden, und die Unterschiede ergeben sich aus der Art der Beziehungen. Aristoteles sieht die Anfänge triadischer Konzepte bei den Pythagoreern. Er selbst beschäftigte sich in seinen Werken 'Über den Himmel' und im 1. Buch seiner 'Physik' intensiv mit der Bedeutung der Dreiheit in der Natur, der Geschichte, der Geometrie und dem Denken.
„Ende, Mitte und Anfang bilden die Zahl des Alls, nämlich die der Triade.“ (Aristoteles: Über den Himmel, 268a10–13)
Eine vierte Dimension in der Welt schloß er aus, drei Dimensionen waren ihm das vollkommene Ganze, bestens repräsentiert durch den dreidimensionalen Menschen.
Als Klassiker des triadischen Denkens in der Spätantike wird von Philosophiehistorikern immer wieder Proklos (410-485) genannt. „Er hat die Dominanz der triadischen Gliederung im Gesamtbereich der Wirklichkeit und im Denken, das sie erfaßt, bewußt reflektiert.“


E. von Samsonow im Artikel ‘Trias, Triaden’ in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer (Hg): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd.10, Basel 1998, Sp. 1479-1483, hier 1480.

Das triadische Denken war aber im europäischen Mittelalter - ebensowenig wie im Altertum - eine Domäne der Philosophie und Religion, obwohl wir aus diesen Diskursen gewiß die meisten schriftlichen Zeugnisse besitzen.
Sowohl für die Beschreibung der Erkenntnisweisen des Menschen, bei Hugo St. Viktor (um 1097 - 1141) lautet die Dreiteilung: ‘cogitatio’, ‘meditatio’ und ‘contemplatio’ bzw. Auge des Fleisches (zur Umwelterkundung), des Verstandes (zur Selbsterkenntnis) und der Selbstvertiefung (zur Erkenntnis Gottes) als auch für die Beschreibung ihrer sozialen Wirklichkeit nutzten viele Denker im mittelalterlichen Europa Triaden. Für den 977 zum Bischoff geweihten Adelbero von Laon bestand die Gesellschaft aus jenen, die beten, anderen die kämpfen und verteidigen und jenen die arbeiten (nunc orant, alii pugnant, aliique laborant). Ausführlich schildert er die zirkulären Abhängigkeiten zwischen den drei Gruppen; jede kann nur durch die 'Gaben' und 'Werke' der anderen beiden bestehen.
Otto Gerhard Oexle: Die funktionale Dreiteilung der 'Gesellschaft bei Adalbero von Laon. In: Frühmittelalterliche Studien, H. 12, 1978, S. 1 - 54, hier S.24.
Ähnliche funktionale Dreiteilungen formulieren seine Nachfahren im XI., XII. und XIII. JH (oratores/bellatores/ laboratores oder sapientes/milites/artifices oder clericis/milites/coloni) und sie bleiben in ihrer Grundstruktur bis in die Neuzeit erhalten, werden modifiziert (Klerus, Adel, Bürgertum) oder im 20. JH revitalisiert (Lehrstand, Wehrstand, Nährstand). Sucht man nach Gründen für den zeitenüberdauernden Erfolg dieser Modelle, so kann man jedenfalls festhalten, daß sie von den Menschen als eingängig, nicht zu simplifizierend und nicht zu kompliziert empfunden wurden.

Triadisches Denken im Mittelalter

  • Christliche Trinität: Vater, Sohn, Heiliger Geist
  • Erkenntnis(Hugo St. Viktor): ‘cogitatio’, ‘meditatio’, ‘contemplatio'
  • Gehirn (Ventrikel/ Posidonius): ‘fantasia’, ‘cogitativa’ und ‚memoria’
  • Gutes Leben (W. von der Vogelweide): Ehre, Besitz, Gnade Gottes
  • Gesellschaftsstruktur (MA): oratores/bellatores/ laboratores
    später: Klerus, Adel, Bürgertum


Die Bedeutung des dreifaltigen Christentum für Rationalisierung und Säkularisierung in Europa

Das Bemühen um eine triadische Axiomatik leistete vom 4. bis zum 5. JH Hebammendienste bei der kulturellen und geistigen Geburt Europas.
Das christliche Abendland betet den dreifaltigen Gott und damit eine Triade an. Seine Glaubensbekenntnisse verlangen und erziehen zum triadischen Denken. Das dreifaltige Glaubensbekenntnis mindert die Spannungen zwischen der Kirche und weltlichen pluralistischen Staatsformen. Sie hat das Christentum für die funktional-differenziertem modernen Industrienationen gut anschlußfähig gemacht - und umgekehrt!
Die Beziehungen zwischen dem dreifaltigen Christentum und den europäischen Nationalstaaten mit ihrer funktionalen Zusammenarbeit (und Trennung) von Wirtschaft, Religion, Politik, Wissenschaft u.a., der triadischen Gewaltenteilung und pluralistischen Verfassungen ist weit enger, als dies in den vielen Sozial- und Ideengeschichten der Säkularisierung, der Entzauberung und Aufklärung im Gefolge der Renaissance dargestellt wird.
Es bedurfte triadischen Denkens, um Kirche (Glauben), Staat (Politik) und Wirtschaft (Geld) einerseits zu trennen und damit den kulturellen Subsystemen eine je eigene Identität und auch Existenzberechtigung zu geben, und andererseits die Beziehungen zwischen diesen Faktoren zu gestalten. Eine gewaltige legitimierende Kraft hat die Dreiteilung politischer Herrschaft in Legislative, Exekutive und Judikative gewonnen.


1748 postuliert der französische Adlige Charles-Louis de Secondat et de Montesquieu (1689 - 1755) in seiner Schrift 'Vom Geist der Gesetze': "In jedem Staat gibt es drei Arten von Gewalt: die gesetzgebende Gewalt (puissance législative), die vollziehende Gewalt in Ansehung der Angelegenheiten, die vom Völkerrechte abhängen, und die vollziehende Gewalt hinsichtlich der Angelegenheiten, die vom bürgerlichen Recht abhängen. Vermöge der ersten gibt der Fürst oder Magistrat Gesetze auf Zeit oder für immer, verbessert er die bestehenden oder hebt sie auf. Vermöge der zweiten schließt er Frieden oder führt er Krieg, schickt oder empfängt Gesandtschaften, befestigt die Sicherheit, kommt Invasionen zuvor. Vermöge der dritten straft er Verbrechen oder spricht das Urteil in Streitigkeiten der Privatpersonen: Ich werde diese letzte die richterliche Gewalt (puissance de juger) und die andere schlechthin die vollziehende Gewalt des Staates (puissance exécutrice) nennen."( Charles-Louis de Secondat et de Montesquieu: Vom Geist der Gesetze. In neuer Übertragung eingeleitet und herausgegeben v. Ernst Forsthoff, München o.J. (1967), S.200)

Der Glaube an den dreifaltigen Gott verlangt und fördert ein triadisches Wahrnehmen, Denken und Handeln. Und erst diese Form der 'Weltanschauung' ermöglicht den Aufbau jener Sozialstrukturen, die die europäischen Nationalstaaten so einzigartig gemacht haben. Die politische Gewaltenteilung, die neuzeitliche Wissenschaft mit der Trennung von Daten, Gesetzen/Modellen und Axiomen, die Verwaltung (Bürokratie) mit ihrer Trennung von Person, Profession und funktionaler Rolle und manche weitere Triaden beruhen auf triadischen Wahrnehmen, Denken und Handeln.


Max Webers zuerst 1905 formulierten Feststellung: "Nur im Okzident gibt es 'Wissenschaft' in dem Entwicklungsstadium, welches wir heute als 'gültig' anerkennen" wird man nicht widersprechen. (Nach Johannes Winckelmann (Hrsg,): Max Weber - Die Protestantische Ethik, Aufsatzsammlung in 2 Bänden, Hamburg 1975, 4.Aufl., hier Bd.1, S.9)Auch für seine zentrale Idee, im Protestantismus "den ethischen Lebensstil" zusehen, "welcher der Wirtschaftsstufe des Kapitalismus geistig adäquat war", spricht vieles. (Op. cit. Bd.2, S.55) Man greift jedoch zu kurz, wenn man nur die fördernde Funktion der Protestantischen Ethik für 'okzidentalen Rationalismus', die methodisch kontrollierte Lebensführung, Wissenschaft, Industrie u.v.a.m. herausstreicht. Es geht nicht nur um Arbeitsethik oder -moral. Es geht daneben um - im ökologischen Sinne - passendes Wahrnehmen und Denken. Die Industrienationen brauchten offenbar dreifaltiges Denken. Jedenfalls entwickelten sie sich zunächst nur in Koevolution mit diesem Glaubensbekenntnis. Die soziologische Ideengeschichte müßte hier stärker den Prozeß der Informationsverarbeitung als nur deren Produkte und Wirkungen verfolgen. Sie würde dann eine spezifische Form des Wahrnehmens und Denkens als Voraussetzung der Akzeptanz und des Festhaltens von und an Ideen erkennen.

Die Trennung der Bereiche ist nur eine der Voraussetzungen und Folge des triadischen Denkens. Die Gestaltung der Beziehungen zwischen diesen Bereichen ist genauso wichtig. Verbinden und Trennen bilden beständige Aufgaben des triadischen Handelns und erst wenn die Balance zwischen ihnen stimmt, kann sich das triadische System erhalten. Wie komplex hier die Verhältnisse liegen zeigt die Geschichte der konstitutiven politischen Wertetriade der europäischen Neuzeit: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
Die Legitimation von Sozialstrukturen, politische Meinungen, auch von Herrschaft, ist in den Industrienationen, die sich als Demokratien verstehen, in dem Maße erfolgreich, in dem sie dem Individuum Freiheiten verheißt; Gleichheit und Solidarität, in welchem Sinne auch immer, fördert.
Es gilt die politische Wertetriade der Demokratien.

Wertetriade

Der Nationalstaat als Triade - Europas Beitrag zur Zivilisation

Es gibt noch eine weitere für die politische Identität Europas vermutlich noch bedeutsamere Triade, die ihre bleibende Ausformulierung im vorrevolutionären Frankreich fand: "So definierte 1786 ... die Encyclopédie méthodique den 'Etat politique' als ' l'étendue de pays qu'une société civile occupe, et le nombre des membres de ce même corps soumis ou même chef' (Bd. 2, 1786:337, Art. Etat politique) Die Dreiheit Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt zeichnet sich ab... Die Souveränität ist endgültig vom König auf den Staat übergegangen", schreibt Reinhart Koselleck (Artikel Staat in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 6 Stuttgart 1990, S.57) Die Idee hat eine längere Vorgeschichte, die mindestens ins XVI. JH zurückgeht, aber solange das Volk nicht als Souverän vorstellbar war, blieb der dritte Faktor wenig bestimmt.
Nationalstaaten zeichnen sich durch die Einheit von Volk, Herrschaft und Territorium aus. Sie sind immer eine Regionalmacht - und sie beschreiben sich triadisch. In der Abbildung ist die Nationalstaatstriade mit der Triade der Gewaltenteilung zu einer unvollständigen Triadentrias verknüpft.

Nationalstaat

Nationalstaaten i.d.S. haben sich nur im Europa der Neuzeit herausgebildet. Es gibt sie nicht als einzelnes Exemplar sondern nur als Bündnis vieler Staaten, dessen Elemente sich wechselseitig respektieren und die wechselnde Bündnisse eingehen.


Bismarck hat dieses Konzept eindrucksvoll zur Grundlage seiner Politik gemacht. Kriege werden hier nicht verhindert, aber sie bleiben lokal beschränkt. Zumindest so lange, wie die Bündnisse nicht zu eng werden und keine Staaten von Außen einbezogen werden. Das Prinzip, welches für Bismarck hinter der flexiblen, lockeren Vernetzung dieser Staaten lag, ist ein Balancieren. Es geht darum die Gewichte zwischen den einzelnen Bündnissen und den einzelnen Staaten, zu eigenen Vorteil zu gestalten. Mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den 1. Weltkrieg, kam eine Macht in das Netzwerk, die sich nicht als Nation verstand, und in ganz andere globale Netze eingebunden war. Das Bündnismodell wackelte.

Europa als ein Netz von Nationalstaaten, dafür gibt es in der Weltgeschichte der Kulturen nichts vergleichbares. Und deshalb liegt hier der historische Grund für eine europäische Identität.
Die römischen oder chinesischen Großreiche, auch das alte Ägypten, das Reich des Dschingis Khan, die persischen und osmanischen Großreiche, das Rußland der Zaren, alle waren Gesellschaftssysteme mit klarer hierarchischer Struktur und beliebigen Ausdehnungen, eben Reiche. Die politische Macht hält die Reiche zusammen, egal in welchen Ländern und mit welchen Völkern.
Allerdings gibt es die eine, für Europa wichtige Ausnahme und die liefert das antike Griechenland. Hier haben wir ein Konglomerat oder ein Netzwerk von Stadtstaaten, die eine zeitlang neben-, mit- und gegeneinander wirkten und dabei auf der Wahrung ihrer Eigenheiten, Freiheiten und Ländereien bedacht waren. Das Projekt, aus dem Europa viel später so viel lernte, war zu Ende, als Philipp von Makedonien und Alexander aus dem Bündnis ein Reich machten.

Nach dem II. Weltkrieg hat in den 50er Jahren am ehesten Charles de Gaulle den Bündnisgedanken wiederaufgenommen und versucht ein Europe des patries, ein Europa der Vaterländer vom Atlantik bis zum Ural in seiner Politik umzusetzen. Das ist bekanntlich gescheitert, anstatt dessen entsteht eine Europäische Union als suprastaatliches Reich. In dem Maße, indem an die EU und an internationale Organisationen Souveränitätsrechte abgetreten werden, schwindet der Faktor 'Souverän' aus der nationalstaatlichen Trias. Von dem alten Europa als Bündnis von Nationalstaaten als emergenten Produkt von Völkern, Territorien und einer Staatsgewalt bleibt zwar der Name Europa, aber er meint nun etwas anderes. Man sollte sich durch das gleiche Wort nicht täuschen lassen. Das, was die politische Identität Europas ausmachte, spielt in dem neuen Europa keine Rolle mehr. "Begriffsgeschichtlich", aber nicht nur in der Welt des Redens und Denkens, "nähern wir uns damit unter völlig neuen Bedingungen, Zuständen, die mit vorstaatlichen Zuständen vergleichbar werden", resümierte schon vor Jahrzehnten R. Koselleck im Artikel "Staat und Souveränität" (Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 6, Stuttgart 1990,S.4)
Aber vielleicht bleibt die Auflösung auch nur eine Episode. Seit Corona dämmert vielen wieder der Sinn territorialer und sozialer Grenzen und von staatlichen Gewalten, die noch einen Überblick über ihren Souverän, einem identifizierbaren Volk, haben.
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geschichte, id139, letzte Änderung: 2022-12-15 17:15:39

© 2024 Prof. Dr. phil. habil. Michael Giesecke